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  • AutorenbildNoëmi

In der Silbermine von Potosí

Potosí ist eine Stadt, die in der Vergangenheit sehr wichtig war, doch kennen tut sie kaum jemand. Im 17. Jahrhundert war die Stadt für Europa wichtiger als heute Paris oder London. Die Stadt liegt im Süden Boliviens auf über 4'000 Metern über Meer. Hinter der Stadt erhebt sich der Cerro Rico, übersetzt "reicher Berg", mit 4'782 Metern über Meer. Reich ist der Berg aber schon lange nicht mehr. Die spanischen Kolonialherren haben den Berg schon vor vielen Jahren leergeräumt und so gut wie das ganze Silber ausgebeutet. Im "Casa de la moneda" wurde das Silber zu Münzen gepresst und nach Europa verschifft. In Potosí wurde aber niemand reich davon. Bis heute, knapp 500 Jahre später, wird Silber abgebaut. Allerdings kratzen die heutigen Arbeiter nur noch die Reste aus, und sie bauen nicht mehr nur Silber ab, sondern auch Zink, Kupfer und Zinn. Der Eingang der Mine liegt auf 4'303 Metern über Meer und neben dem Eingang sind kleine Hütten mit Wellblechdächern, worin einige Minenarbeiterinnen und Minenarbeiter wohnen. Es arbeiten nämlich auch ungefähr 150 Frauen in den Minen. Insgesamt sind es zwischen 16'000 und 18'000 "Mineros", allerdings in mehreren Minen rund um Potosí, nicht nur im "Cerro Rico".


Dutzende Transportkarren zäunen die Schienen, mit denen die "Mineros" die Edelmetalle aus dem Berg holen. Ausgerüstet mit einem Helm, einer Lampe, Dynamit, Hammer, den blossen Händen und der Transportkarre holen sie die Metalle aus dem Berg. Die Arbeit beginnt früh morgens zwischen 2 und 3 Uhr und endet, sobald sie genug Metalle gefunden haben. Meist arbeiten sie bis mittags. Ab 14 Jahren (leider auch ab und zu Kinder), arbeiten die meisten Leute in der Mine und ältere "Mineros" als 50 bis maximal 55 trifft man nicht an. Die Luft in der Mine ist staubig und oft sind giftige Dämpfe und der Geruch von Gas in der Luft. Alles andere als gesund für die Lunge. Der Lohn eines Minenarbeiters und einer Minenarbeiterin ist etwa doppelt so hoch wie der Mindestlohn in Bolivien, also ca. 450 bis 500 Franken. Gutes Geld in Bolivien, und deshalb bleiben viele viel länger in den Minen als sie eigentlich wollen. Wir hatten das Glück, dass wir nach gut zwei Stunden die Mine wieder verlassen konnten.


Der Eingang zur Mine ist relativ klein und es geht den Schienen entlang rein in den Berg. Die Luft ist schon auf über 4'000 Metern dünn, aber im Berg drin ist sie noch dünner und voller Staub. Wir laufen im Wasser, dann wieder im Staub, und so gut wie immer in gebückter Haltung. Ich bin wieder einmal relativ gross für bolivianische Verhältnisse, denn die Mine ist definitiv für bolivianische Grössen gebaut. Ich kann fast nie aufrecht gehen. Immer tiefer steigen wir im inneren des Berges hinab und müssen immer wieder auf allen vieren kriechen. Nach einer Weile treffen wir zwei Minenarbeiter an, die mit ihrer Transportkarre angelaufen kommen. Sie sehen ziemlich jung aus. Ihre Karre ist voll mit Säcken, in denen die Edelmetalle sind und sie müssen zu zweit schieben, denn es geht aufwärts zum Ausgang. Wir schenken ihnen je eine Dose Malta, einem Malzgetränk, das wie ein Energydrink wirkt und die Arbeit in der Mine ein kleines bisschen erträglicher macht. Zudem ein Päckchen Cocablätter, ohne die hier keiner in die Mine geht. Diese Sachen haben wir vorher auf dem Markt der "Mineros" gekauft, wo man alles kaufen kann, was man in der Mine benötigt. Von Dynamit über hochprozentigen Alkohol bis zu Malta, Werkzeugen und Gummistiefeln. Wir lassen die Jungs gehen und steigen tiefer in die Mine ab. Wir besuchen dann als erstes den Tío der Mine (einer von sechs). Der Tío verkörpert den Herrn der Unterwelt und den Teufel. Er wird mit Hörnern und oft mit Ziegenbeinen dargestellt. Oftmals ist der Tío auch mit roter Farbe bemalt. Das soll das Blut der Millionen von Arbeitern symbolisieren, die beim Bau oder in der Mine ums Leben kamen. Die "Mineros" bringen dem Tío Geschenke mit. Dazu gehören Zigaretten, Cocablätter und hochprozentiger Alkohol (96 Vol. %). Teilweise, allerdings selten, auch Blut und Tieropfer. Sie machen beim Tío eine kurze Pause und bitten ihn um Schutz bei ihrer Arbeit. Sie giessen etwas Alkohol über seinen Kopf und bitten ihn um gute Konzentration, über seine Schlutern für mehr Kraft, um die schweren Transportkarren zu scheiben. Ebenfalls über die Knie, für gesunde Beine, um in der Mine hoch und runter zu gehen und herumzukrackseln. Über seinen Penis, damit er der Pachamama Fruchtbarkeit schenkt. Pachamama ist die Erde und schliesslich befinden sie sich in der Pachamama und bauen ihren Reichtum ab. Dann giessen sie etwas Alkohol auf den Boden für Pachamama als Dank, dass sie sie beschützt in der Mine. Dann "stossen sie mit dem Tío an" und trinken einen Schluck vom hochprozentigen Alkohol. Dieses Ritual machen sie mindestens einmal täglich.


Nachdem wir alle ein bisschen Alkohol an Pachamama abgegeben haben (auf das Trinken haben alle ausser die Reiseführerin verzichtet), gingen wir weiter in die Mine hinunter. Wir finden immer wieder Dekorationen vom Carnaval. Fähnchen, Papierschlangen und eine Art Scherenschnitte. Ein kleiner Versuch, etwas Farbe in die düsteren und trostlosen Gänge zu bringen. Irgendwie eine schöne Geste.

Irgendwann kam dann der Zeitpunkt, wo wir die ganzen Höhenmeter wieder hochsteigen mussten. Der Aufstieg beginnt mit einer Leiter und führt dann durch einen sehr engen Tunnel ziemlich steil hinauf. Wir kriechen auf allen vieren, den Staub von der vorauskriechenden Person schluckend. Die Luft ist dünn und es ist sehr anstrengend. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen wir oben an und machen uns auf den Weg zum Ausgang. Wir sind alle glücklich, als wir das Ende vom Tunnel und endlich wieder Tageslicht sehen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein muss, tagtäglich in dieser Mine zu schuften. Diese Leute haben für mich einen der schlimmsten und gefährlichsten Jobs der ganzen Welt. Dazu kommt, dass der Cerro Rico einsturzgefährdet ist. Seit 2014 stehen Potosí und der Cerro Rico wegen "unkontrollierter Bergwerkaktivitäten" auf der Roten Liste des gefährdeten Weltkulturerbes der UNESCO.


Draussen treffen wir dann eine Gruppe junger Männer, die zusammensassen und Bier trinken. Wir schenken ihnen die restlichen Maltas und Cocablätter und machen uns auf zurück in die Stadt.


Die Besichtigung der Mine war eines der eindrücklichsten Dinge, die ich bis jetzt in Bolivien erlebt habe. Irgendwie fast unvorstellbar, dass hier tagtäglich tausende "Mineros" arbeiten und ihr Leben für etwas Silber und ein paar andere Edelmetalle aufs Spiel setzen.


Das Departement Potosí hat aber auch (besonders) heute noch einen weiteren, sehr wertvollen Schatz: Lithium. Unter dem Salar de Uyuni, der grössten und höchstgelegenen Salzwüste der Welt, lagern die grössten bekannten Lithiumvorkommen der Welt. Ich hoffe, dass sich die Geschichte von Potosí nicht wiederholt und Bolivien erneut ausgebeutet wird! Das wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Bolivien ist so ein reiches Land, doch leider hat das Volk nur wenig davon.


Quellen: Unsere Führung und der Artikel, den ich dir unten verlinke. Falls dich das Thema interessiert und du noch weitere spannende Informationen zu Potosí, dessen Geschichte und der Mine möchtest, kann ich ihn nur empfehlen.




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