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  • AutorenbildNoëmi

Planlos an den Carnaval ohne Ende

In Bolivien gibt es, wenn es um Karneval geht nur eines: Den Carnaval de Oruro. Der Carnaval findet am Wochenende nach dem Schmutzigen Donnerstag statt. Er ist der grösste Carnaval in der Andenregion und dauert drei Tage. In die Kleinstadt Oruro kommen über diese Tage so viele Besucher wie die Stadt Einwohner hat oder sogar noch mehr. Da die Leute in Bolivien für gewöhnlich alle etwas anderes erzählen, kann ich keine verlässlichen Zahlen nennen. Die Meisten sprechen von rund 300'000 - 400'000 Besuchern. Der Carnaval findet zu Ehren der Virgen del Socavon (Jungfrau der Bergwerksstollen) statt. Sie ist die Schutzpatronin der Minenarbeiter und wird deshalb auch heute noch angebetet. Mehr als 28'000 Tänzer und 10'000 Musiker nehmen an der Parade teil und legen die 4 Kilometer Strecke vom Anfang bis zur "Iglesia del Socavon" tanzend und Musik machend zurück. Die Parade dauert ca. 20 Stunden. 2001 wurde der Carnaval von Oruro zum Unesco Weltkulturerbe erklärt. Für uns war klar, dass wir da hin müssen, doch wir wussten bis am Freitag Mittag nicht, wie und wann...


Wir versuchten mehrmals zu entscheiden, wann wir gehen wollen. Ich war dafür, dass wir am Freitag Abend mit dem letzten Bus nach Oruro fahren und dann am Morgen gleich Tickets für die Tribünen kaufen, die entlang der Strecke des Umzugs aufgestellt sind. Die anderen wollten lieber erst am Morgen gehen, da der Carnaval so lange dauert. Am Mittagstisch hatten wir beinahe Streit mit unserer Gastfamilie, da es lange danach aussah, dass wir doch erst am Samstag Morgen fahren. Unsere Gastmutter meinte, das können wir nicht machen, wir sähen dann gar nichts und für sie war das irgendwie fast schlimmer als für uns. Einer von uns drei aus Cochabamba sagte dann, dass er nicht kommt, da es unmöglich ist, den Carnaval ohne Ticket zu sehen, und wir nicht wussten, ob es noch Tickets gab. Also beschlossen Kristina und ich (am Freitag Mittag), dass wir mit dem letzten Bus am Freitag Abend nach Oruro fahren, falls es noch Tickets für die Busse gab, denn an diesem Wochenende reisten alle nach Oruro. Wir machten uns also auf den Weg zum Busterminal, um unser Glück zu versuchen. Es hatte extrem viele Leute und Verkäufer "schrien" die Destinationen ihrer Busse rum und versuchten Kunden zu gewinnen. Wir stellten uns in die lange Schlange für die eine Busgesellschaft, die uns Empfohlen wurde. In letzter Minute sprang dann der Dritte von Cochabamba doch noch auf unseren Zug auf und wollte auch ein Ticket. Wir hatten Glück und konnten dann tatsächlich drei Tickets für die Fahrt um 23.00 Uhr nach Oruro ergattern, sogar für einen angemessenen Preis (umgerechnet 5-6 Franken). So konnten wir beruhigt in unsere Spanischlektionen. Danach gingen wir nach Hause, packten das nötigste zusammen (warme und Ersatzkleidung, denn in der Nacht wird es kalt in Oruro und etwas zu Essen), und ruhten uns noch etwas aus, denn viel Schlaf hatten wir nicht in Aussicht. Wir trafen uns dann am Terminal und machten uns auf ins Abenteuer. Denn ausser dem Busticket nach Oruro hatten wir nichts. keine Übernachtungsmöglichkeit falls wir erst am Sonntag zurückfahren würden, keine Tickets für die Tribünen um den Carnaval zu sehen und kein Rückfahrticket nach Cochabamba. Ich freute mich auf dieses Abenteuer, denn ich bin ja auch hergekommen, um etwas zu erleben und für die unvergesslichen Erinnerungen. Let the adventure begin!


Der Bus fuhr mit nur 15 Minuten Verspätung ab und das Erste, was wir machten, war etwas zu Essen, denn unsere Gastmutter hatte uns verboten etwas vor der Busfahrt zu essen, da das nicht gut für unseren Magen wäre. Aber wir hatten Hunger und so konnten wir unmöglich die Fahrt überstehen. Die Strasse nach Oruro war dann ziemlich abenteuerlich. Es war stockdunkel, doch es fühlte sich an, als ob ein Schlagloch auf das andere folgen würde. Ausserdem liegen mehr als 1'000 Höhenmeter zwischen Cochabamba (2'500 M.ü.M) und Oruro (3'700 M.ü.M). Trotzdem bekamen wir etwas Schlaf und erreichten Oruro um viertel vor fünf. Im Busterminal angekommen blieb, die Hälfte der Leute noch liegen und wir dachten uns, wenn die liegen bleiben, können wir auch noch im warmen Bus (zumindest wärmer als draussen) warten. Um 6 Uhr schmissen sie uns dann raus und wir suchten die anderen Volunteers aus Sucre, die ebenfalls schon am Terminal waren. Mit ihnen zusammen frühstückten wir erst Mal. Um halb acht machten wir (wir drei aus Cochabamba und zwei aus Sucre) uns auf den Weg zum Eingang vom Carnaval. Der ganzen Strecke entlang waren Tribünen aufgestellt und wir klapperten einige Verkäufer ab um zu sehen, wie die Preise so sind. Erstaunlicherweise waren sie relativ human, denn die Plätze, die wir mit unserem Gastbruder und dessen Eltern hätten haben können hätten umgerechnet 100 Franken gekostet. Wir ergatterten dann an der Haupt Avenida "Avenida 6 de Agosto" Plätze für umgerechnet 13 Franken. Wir waren zwar fast zu oberst auf den Tribünen, aber so hatten wir einen guten Überblick. Die Tribünen bestanden aus einem Metallgerüst mit Holzbrettern drauf, auf denen man sich hinsetzen konnte. Viel Platz hatte man nicht, denn da wo man die Füsse abstellte würde später ebenfalls eine Person sitzen (am Nachmittag musste man dann über ziemlich kriminelle Leitern auf die oberen Plätze klettern, da man nicht zwischen den Leuten von unten hochsteigen konnte). Jetzt am morgen früh war es aber noch ziemlich leer, denn der Carnaval würde für die nächsten 20 Stunden andauern. Ich konnte mir das nicht vorstellen, 20 Stunden Umzug mit so vielen Tänzern und Musikern, ohne dass zweimal die gleichen Tanzgruppen starten. Und ich dachte immer der Umzug in Luzern wäre gross...


Da wir aber auch noch etwas von der Stadt sehen wollten, beschlossen wir uns am morgen früh noch etwas umzuschauen bevor alle Leute auf den Beinen waren und die Stadt überfüllt wäre. Wir sahen uns etwas in der Stadt um, aber fanden zuerst nichts Sehenswertes. Dann gingen wir zu einer Gondelstation, die auf einen Hügel führte, wo einen grosses Monument der "Virgen del Socavon" steht. Die Jungfrau ist stolze 45.4 Meter hoch und damit die höchste ihrer Art in Südamerika. Von diesem Hügel aus hat man auch eine wunderbare Sicht über die ganze Stadt und man hörte die Musik vom Carnaval bis hier hoch. Wir gingen dann zurück zu unseren Plätzen, um etwas vom Carnaval zu sehen. Mittlerweile waren die Tribünen mehr oder weniger gefüllt und es waren auch die Volunteers aus La Paz und Santa Cruz angekommen. Der Umzug war dann atemberaubend. Es wurden diverse Tänze getanzt, zum Beispiel die Diablada. Bei diesem Tanz tragen die Tänzer wohl die prächtigsten Kostüme. Sie stellen Teufel dar, doch sie sind kunterbunt, wunderschön und unglaublich reich an Details. Der Tanz stammt aus der indigenen Kultur. Dort gilt alles, was sich unter der Erde befindet als Hölle und die Minenarbeiter, die unter der Erde in den Minen arbeiteten baten den Teufel (auch Tío genannt) mit Cocablättern, Zigaretten und Alkohol darum, in sein Reich eintreten zu dürfen sowie um seinen Schutz. Dann gibt es den Tanz Tinku. Tinku ist Quechua und bedeutet Begegnung. Der Tinku ist ein uralter Kampftanz. Es gibt auch die Caporales. Der Tanz porträtiert den schwarzen Vorarbeiter, genannt Caporal, der seine ebenfalls schwarzen Untergebenen mit der Peitsche traktiert. Typisch für diesen Tanz sind hohe Stiefel mit Schellen dran. Ein sehr beliebter Tanz ist auch die Morenada. Woher dieser Tanz kommt ist nicht klar, doch es hat irgendetwas mit der Zeit zu tun, in der die Spanier die indigene Bevölkerung in den Silberminen von Potosí unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten liessen. Bei diesem Tanz tanzen Frauen in kurzen, farbenfrohen Kleidern und Stiefel, die bis über die Knie reichen und unglaublich hohe Absätze haben. Keine Ahnung, wie die die vier Kilometer Strecke tanzend zurücklegen können in diesen Schuhen. Es ist für mich sowieso unglaublich, wie man auf 3'700 Meter über Meer so tanzen und rumhüpfen kann, und das über vier Kilometer. Denn die Luft wird doch schon etwas dünn auf dieser Höhe und schon Treppensteigen wird ziemlich schnell ziemlich anstrengend.


Fasziniert bewunderten wir den kunterbunten und abwechslungsreichen Umzug, fühlten die Trommelschläge und genossen das farbenfrohe Spektakel. Man hatte das Gefühl, ganz Bolivien tanzt in Oruro am Carnaval. Wir sahen kleine Kinder, die kaum mehr als 4-5 Jahre alt waren bis hin zu alten Menschen. Normal ist, dass man sich verpflichtet, 3 Jahre am Carnaval für die Virgen del Socavon zu tanzen und im Gegenzug etwas von ihr zu erbitten. Aber es gibt auch viele Leute, die schon praktisch ihr ganzes Leben am Carnaval teilnehmen. Sobald es eine kleine Lücke zwischen zwei Tanzgruppen gab, stürmten die Kinder auf die Strasse und es gab eine Schaumschlacht. Und da wir ab und zu auch Kinder sind, haben wir natürlich mitgemacht :). Am Tag war es zum Glück warm, und der Schaum (ähnlich wie Rasierschaum) trocknete schnell. Als es dunkel wurde, wurde es dann noch spektakulärer. Die Tänzer hatten Kostüme, die mit bunten Lichtern versehen waren und in allen Farben leuchteten. Einige hatten sogar Feuer speiende Masken. Zwischen den Gruppen wurde immer wieder Feuerwerk gezündet, mitten auf der Strasse in all den Leuten. Ich will gar nicht wissen, wie gefährlich das ist, aber hier in Bolivien geht das. Mit der Dunkelheit kam aber auch die Kälte. In der Nacht war es nur 7-8 Grad warm, was ziemlich kalt ist, wenn man nur rumsitzt und sich praktisch nicht bewegt. Wenigstens konnte ich so meinen Pulli aus Alpakawolle testen, und er gab wirklich sehr warm, sodass wir es bis kurz nach 22 Uhr aushielten. Dann mussten wir zurück zum Terminal, denn Kristina und ich beschlossen, dass wir nicht die ganze Nacht bis um 4.30 Uhr in Oruro ohne Unterkunft in dieser Kälte verbringen wollten und nahmen so den letzten Bus um 23 Uhr. Das einzig schöne an der Heimfahrt war dann der Sternenhimmel und das wenige, das ich von der Landschaft sah. Denn mein Sitz war kaputt, sodass er sich nicht verstellen liess, was Schlafen so gut wie unmöglich machte. Ausserdem war es eiskalt im Bus, was das Ganze nicht gerade angenehmer nachte. Nach knapp 5 Stunden Fahrt kamen wir endlich in Cochabamba an, nahmen ein Taxi nach Hause und fielen todmüde ins Bett. Diesen Tag werde ich so schnell nicht mehr vergessen!







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